Teilprojekt C4: Microfeatures Qualitätssicherung

Übersicht

Das Teilprojekt C4 "Microfeatures Qualitätssicherung" setzte sich eine prozess- und systemgerechte wirtschaftliche Qualitätssicherung in der urformenden Fertigung von Mikrobauteilen zum Ziel.

Motivation

Die wesentliche Herausforderung für eine industriell umsetzbare Mikroproduktion ist die Entwicklung robuster und flexibler Fertigungsprozesse. Um Robustheit und Flexibilität auch in Mikrodimensionen zu realisieren, müssen die Fertigungsprozesse durch eine schnelle, fertigungsnahe und den mikrospezifischen Besonderheiten entsprechende Qualitätssicherung kontinuierlich geregelt und verbessert werden. Bisher sind Mikrofertigungsprozesse durch eine hohe Variabilität aufgrund der höheren Anzahl signifikanter Einflussfaktoren bestimmt. Darüber hinaus liegen die Toleranzanforderungen mikrostrukturierter Bauteile im Mikro- und Submikrometerbereich, was höchste Genauigkeitsanforderungen an die Messverfahren stellt. Um Mikrofertigungsprozesse basierend auf Messdaten zu regeln, muss der erhöhten Bedeutung der Messunsicherheit und der Messstreuung im Vergleich zu den geforderten Toleranzen Rechnung getragen werden. Messdaten zeigen dabei immer eine Überlagerung von Fertigungs- und Messstreuung, die im Falle höchster Toleranzanforderungen zu falschen Entscheidungen bezüglich der Annahme oder Ablehnung von Bauteilen führen kann. Daher liegt der Fokus der vorliegenden Forschungsarbeit im Rahmen des SFB 499 auf der kontinuierlichen Überwachung, Regelung und Trennung von Fertigungs- und Messstreuung mit Hilfe statistischer Werkzeuge.

Abbildung 1: Veränderte Rahmenbedingungen für die Qualitätssicherung von Mikrobauteilen

Auch auf dem Gebiet der dimensionellen Messtechnik existieren zahlreiche Herausforderungen aufgrund der Dimension und Vielfalt der Bauteile. Bedingt durch Toleranzen mikromechanischer Komponenten bis hin in den Submikrometerbereich sind die Genauigkeitsanforderungen an die dimensionelle Mikromesstechnik sehr hoch. Hinzu kommt, dass die Vielfalt der gefertigten Strukturen sowohl hinsichtlich ihrer Geometrien als auch hinsichtlich der Werkstoffe eine 3D-Sensorik erfordern, die keinen Einfluss auf die Messobjekte haben und die Messung bezüglich Rauheit und optischer Eigenschaften verschiedenartiger Oberflächen ermöglicht. Da es jedoch bisher keine Messtechnik gibt, die diesen Anforderungen genügt, sind Vorgehensweisen zu entwickeln und anzupassen, um belastbare Aussagen über die Bauteilgeometrie zu erhalten.

Ziele

Um robuste Prozesse zu erreichen, bedarf es der Entwicklung prozessnaher Regelkreise und der damit erforderlichen prozessgerechten Informationsbereitstellung. Die Basis dafür sind unter anderem Daten aus einer prozess- und systemgerechten dimensionellen Mikro-Messtechnik. Diese Daten und Messergebnisse müssen für eine wirtschaftliche und prozess- und systemgerechte Qualitätssicherung als Informationsflüsse effizient in die Fertigung rückgeführt werden, um auf letztere regelnd eingreifen zu können.
Die zu erreichenden Teilziele umfassen somit folgende Fragestellungen:

  • Erstes Teilziel ist die Entwicklung und Implementierung von operativen fertigungsnahen Mikro-Qualitätssicherungsmethoden, wie einer µ-spezifischen Statistischen Prozessregelung (µ-SPC), die durch den Einsatz statistischer Methoden die Regelung und kontinuierliche Verbesserung von Mikrofertigungsprozessen erlaubt.
  • Auf Seiten der Informationserfassung und -bereitstellung umfasst das zweite Teilziel die Erweiterung des während der ersten beiden Antragsphasen implementierten Microfeature-Katalogs hinsichtlich geometrischer Komplexität (erweiterter SFB 499-Demonstrator) und fertigungstechnischer Komplexität (Sinterfügen und 2-C-Mikro-PIM), um die Analyse von mechanischen Mikrosystemen zu ermöglichen und Fertigungsverfahren strukturiert nach Microfeature-Familien zu bewerten und auszuwählen.
  • Drittes Teilziel ist die Erweiterung der dimensionellen Mikromesstechnik, um die komplexen, echt dreidimensionalen Mikrobauteile und Mikrosysteme der 3. Förderphase in ihren verschiedenen Funktionszuständen zu vermessen und des Weiteren die Durchführung von Untersuchungen zur Modellierung der Messunsicherheitseinflussfaktoren.

Ansatz

Operative Qualitätssicherung

Das Ergebnis einer Messung dient vornehmlich zwei Zwecken. Zum einen ist eine Aussage über die Annahme oder Ablehnung des gemessenen Objektes bezüglich der festgelegten Toleranzen zu treffen. Zum zweiten sollen aufbauend auf solchen Messergebnissen die zugrunde liegenden Fertigungsprozesse geregelt werden, um die Toleranzgrenzen einzuhalten und eine stetige Verbesserung, also robuste Prozesse, zu erreichen. Eine solche Qualitätssicherung ist gerade für mikrostrukturierte Bauteile mit Toleranzen im (Sub-)-Mikrometerbereich von größter Bedeutung.

Hohe Variabilität von Mikrofertigungsprozessen
Mikrofertigungsprozesse unterliegen aufgrund der größeren Anzahl signifikanter Einflussfaktoren (Gefüge, Temperatur, Staub etc.) einer höheren Streuung als im Makrobereich. So haben beispielsweise beim Mikrofräsen die Schneidkantenverrundung und Gefüge-eigenschaften (Kornverteilung, Korngröße, Lunker, Einschlüsse, Risse, etc.) differenzierte und größere Einflüsse auf die erzielbare Oberfläche und Werkzeugstandzeiten als im Makrobereich. Des Weiteren handelt es sich neben einem trennenden auch um einen umformenden Prozess, da die Schneidkantenverrundung ähnliche Werte wie die Spanungsdicke annimmt. Dadurch erfolgt die Zerspanung bei sequentiellem Abtrag zu großen Anteilen in gegenüber dem Grundwerkstoff verfestigten Randschichten. Es ist also eine Qualitätssicherungsmethode zur kontinuierlichen Senkung der Variabilität gefordert, die iterativ in jedem Zyklusdurchlauf die Prozessparameter auf die geänderten Umweltbedingungen einstellt.

Überlagerung von Fertigungs- und Messstreuung
Da die Toleranzanforderungen im Mikro- und Submikrometerbereich liegen, sind höchste Anforderungen an Genauigkeit und Verlässlichkeit der Messung zu stellen. Die Messunsicherheit liegt im Größenbereich der vorgegebenen Toleranzen und erschwert die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung des Messobjektes bezogen auf dessen Funktionstüchtigkeit. Eine signifikante Komponente der experimentellen Messunsicherheitsbestimmung für Koordinatenmessgeräte ist die Streuung des Messprozesses, welche durch Wiederholmessungen am gleichen Messobjekt quantifiziert werden kann. Messdaten unterschiedlicher Bauteile setzen sich daher immer aus einer Überlagerung von Fertigungsprozessstreuung und der beschriebenen Messstreuung zusammen. Im Makrobereich ist in den meisten Fällen ein hinreichend genaues Messgerät vorhanden und die Messstreuung kann im Vergleich zur Fertigungsstreuung bzw. den Toleranzen vernachlässigt werden (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Überlagerung von Fertigungs- und Messprozessstreuung im Makrobereich

Bei Toleranzen im (Sub-)Mikrometerbereich ist die Goldene Regel der Messtechnik (1/15*Toleranzbreite ≤ Messunsicherheit ≤ 1/10*Toleranzbreite) jedoch nicht mehr einzuhalten. Die Unsicherheit und Streuung im Messprozess ist also nicht mehr vernachlässigbar in Relation zu den Toleranzen. Als Folge erschwert die Überlagerung von Fertigungsprozessstreuung und Messstreuung die Regelung von Mikrofertigungsprozessen und erfordert neue Handlungsrichtlinien und Werkzeuge.

Vorschlag einer neuen statistischen Vorgehensweise
Die Entwicklung einer fertigungsnahen mikrogerechten Qualitätssicherung gliedert sich in zwei Vorgehensweisen. Erstens ist ein Vorgehen zu gestalten, das der hohen Variabilität und den daraus resultierenden nicht-robusten Mikrofertigungsprozessen entgegen wirkt. Aufgrund von Toleranzanforderungen im (Sub-)Mikrometerbereich ist die Unsicherheit im Messprozess nicht mehr vernachlässigbar in Relation zu den Toleranzen. Daher sind zweitens, neue Methoden zur simultanen Quantifizierung, Visualisierung und Trennung des Fertigungs- und Messprozesses zu entwickeln.

a) Kombination von SPC und DoE

Um die erhöhte Variabilität von Mikrofertigungsprozessen zu senken, ist am Institut für Produktionstechnik (wbk) ein Verfahren entwickelt worden, welches statistische Prozessregelung (engl. Statistical Process Control = SPC) und die Statistische Modellierung aus der Versuchsplanungsmethodik (engl. Design of Experiments = DoE) kombiniert. In einem ersten Schritt sind die signifikanten Prozessparameter der Mikrofertigungsprozesse zu identifizieren und zu klassifizieren. Die Klassifikation orientiert sich daran, ob die identifizierten Prozessparameter nur messbar (Kovariablen) oder mess- und regelbar (Hebelfaktoren) sind. Anschließend sind die Einflüsse der Kovariablen und Hebelfaktoren auf das Qualitätsergebnis (z.B. Rauheit, dimensionelle Präzision und deren Wechselwirkungen zueinander) zu quantifizieren. Dies geschieht anhand der Methodik der statistischen Versuchsplanung und somit der systematischen Durchführung von empirischen Versuchsreihen und über die Aufstellung eines mathematischen Modells mittels multipler Regression. Dieses Vorgehen wurde bisher für die Mikrofertigungsverfahren Mikrofräsen und Mikropulverspritzguss durchgeführt. Die statistische Modellierung der Parameter-/Parameter und Parameter-/Qualitätsmerkmal-Wechselwirkungen dient dazu, optimale Prozessparameter(-Startwerte) für die Hebelfaktoren und deren Wechselwirkungen mit den sich ständig ändernden Kovariablen zu identifizieren. Sie sind Grundlage des im Folgenden vorgeschlagenen Regelkreises zur kontinuierlichen Reduktion der Variabilität von Mikrofertigungsprozessen (siehe Abbildung 3). Die aktuelle Soll-Istwert-Differenz des Qualitätsmerkmals wird ermittelt und kann in Qualitätsregelkarten beispielsweise zur Visualisierung des Prozessverlaufs eingesetzt werden (Abbildung 3, unterer Regelkreis). Falls Werte zu weit vom Sollmaß abweichen, liegt mit großer Wahrscheinlichkeit (genauer Wert abhängig von der statistischen Berechung der Eingriffsgrenzen) eine Störung im Fertigungsprozess vor, welcher nach der Identifikation der Ursache beseitigt werden muss. Soweit der bisherige state-of-the-art Regelkreis der SPC, die erst eingreift, sobald eine Eingriffsgrenzenverletzung vorliegt.

Abbildung 3: Kombination von SPC und statistischer Modellierung

Dagegen sieht der vorgeschlagene Ansatz eine Erweiterung der Regelung auch innerhalb der Eingriffsgrenzen vor, damit schon hier die gefertigten Maße möglichst nahe am Sollwert liegen, bzw. die Streuung um letzteren kontinuierlich reduziert wird. Zur Umsetzung dieses Vorhabens werden kontinuierlich die Kovariablen gemessen und über das aufgestellte mathematische Modell aus der statistischen Versuchsmethodik mittels multipler Regression die Auswirkungen auf den Ist-Wert des Qualitätsmerkmals prognostiziert (ϒ). Weicht dieser Prognosewert (ϒ) zu stark vom Sollwert ab, so sind entsprechend den quantifizierten Wechselwirkungsbeziehungen die (bisher konstanten) Hebelfaktoren so zu ändern, dass die Effekte der Kovariablen möglichst eliminiert werden.

b) Multivariate µ-EWMA-Qualitätsregelkarte

Eine Regelung von Fertigungsprozessen fundiert auf den zugrunde liegenden Messdaten. Auch diese Messdaten unterliegen einer Streuung aufgrund der vielfältigen Unsicherheiten im Messprozess. Ist die Messstreuung in Relation zur Fertigungsstreuung groß, so weicht die beobachtete von der tatsächlichen Fertigungsstreuung signifikant ab. In der Mikroproduktionstechnik liegen die Toleranzen im Größenbereich der Messunsicherheit und die Fertigungsprozessstreuung im Größenbereich der Messstreuung. Die Unsicherheit im Messprozess ist also nicht mehr vernachlässigbar in Relation zu den Toleranzen. Am Institut für Produktionstechnik (wbk) wurde daher ein neues Qualitätsregelkartendesign zur simultanen Quantifizierung, Visualisierung und Trennung des Fertigungs- und Messprozesses entwickelt.
Die vorgeschlagene multivariate EWMA-Qualitätsregelkarte (exponentially weighted moving average) trägt auf der Abszisse die Stichprobenmittelwerte von gefertigten Qualitätsmerkmalen über eine herkömmliche EWMA-Transformation ab: Die EWMA-Karte gehört zu den Qualitätsregelkarten mit Gedächtnis. Stichprobenwerte aus der Vergangenheit werden hierbei mit abklingenden Gewichten gemittelt. Für die Berechnung der Prüfgröße Ztp werden nicht alle bis zu dem Zeitpunkt vorhandenen Stichprobewerte benötigt, sondern nur der letzte eingetragene Wert und der Messwert der aktuellen Stichprobe (xtp). Die Prüfgröße lässt sich also rekursiv beschreiben:
Ztp = λXtp + (1 - λ)Ztp-1
Je größer also der Glättungsparameter gewählt wird, desto geringer ist der Einfluss zurückliegender Stichproben. Wählt man so erhält man eine normale Shewart-Qualitätsregelkarte. Neben dieser horizontalen EWMA-Karte, auf welcher die Messwerte unterschiedlicher Bauteile aufgetragen werden enthält die vorgeschlagene multivariate µ-EWMA-Karte noch die Möglichkeit die Standardabweichung aus dem Messprozess aufzuzeigen. Ein gefertigtes Objekt jeder Stichprobe wird also mehrmals gemessen und die Standardabweichung der Wiederholmessungen wird auf der Ordinate abgetragen.
Ztm = δMt
Auf diese Weise können sowohl die Entwicklung und eventuelle Trends und Störungen des Fertigungsprozesses (Abszisse, Ztp) als auch des Messprozesses (Ordinate Ztm) visualisiert und gesteuert werden. Die sich entsprechenden Werte der Stichprobenmittelwerte (Abszisse) und die zugehörigen Standardabweichungen aus den Wiederholmessungen (Ordinate) werden gepaart (siehe markiertes Beispiel Abbildung 4, oben links) und in ein gemeinsames Diagramm mit neuen Eingriffsgrenzen eingetragen. Diese Darstellung erlaubt eine übersichtliche Kontrolle, über mögliche Fertigungs- und/oder Messprozessstörungen sowie Korrelationsuntersuchungen zwischen letzteren Werten. Um darüber hinaus für eine differenzierte Ursachendiagnose Fertigungs- und Messprozess voneinander zu trennen, wird die Gewichtungskonstante λ (0<λ<1) der Mittelwert EWMA-Karte (Abszisse, Abbildung 4) als Gewichtungsfaktor λt in Abhängigkeit der zugrunde liegenden zeitlich variierenden Messstreuung δM,t verwendet:
λ = f(δM,t) mit λt ↑ wenn δM,t
und λt ↓ wenn δM,t
(0<λt<1)
Über diesen variablen Gewichtungsfaktor kann somit die Sicherheit bzw. das Vertrauen in den gegenwärtigen Messprozess quantifiziert werden. Wenn beispielsweise ein aktueller Messwert mit einer hohen Messstreuung gemessen wurde - man also wenig Vertrauen in diesen Messwert haben sollte - so wird diese nur wenig gewichtet (Fall 2: λt ↓). Wenn dagegen meine Standardabweichung im Messprozess δM,t sehr klein ausfällt, so gewichte ich den aktuellen Messwert mit einem großen Wert λ (Fall 1: δt ↑).

Abbildung 4: Multivariate µ-EWMA Qualitätsregelkarte für Mess- und Fertigungsprozess

Die starke Vernetzung der einzelnen Prozesse innerhalb von mikroproduktionstechnischen Pro-zessketten erfordert die Konzeption eines Informationsmanagements zur prozess- und produktge-rechten Strukturierung, Erfassung und Bereitstellung der relevanten Daten. Nur so kann gewährleistet werden, dass jeder einzelne Prozess die für ihn relevanten Informationen als Eingangsinformationen erhält und berücksichtigen kann, und Ausgangsinformationen an die von ihm beeinflussten Prozesse zur Verfügung stellt. Der Kernpunkt für eine adäquate Erfassung und Bereitstellung der Informationen ist die Entwicklung eines Konzeptes zur Informationsstrukturierung. Da die Mikroproduktionstechnik technologiegetrieben ist, wurde am Institut für Produktionstechnik (wbk) das Feature-Konzept, welches in Makrodimensionen bereits erfolgreich zur Optimierung von Produktionsprozessen eingesetzt worden ist, als geeigneter Ansatzpunkt zur Strukturierung von Informationen identifiziert.

Features, die zunächst in den 70er Jahren als mit einer Maschinenoperation fertigbare geometrische Elemente definiert worden sind, haben sich inzwischen zu einem Spektrum von Konstruktions-, Ferti-gungs- und Qualitätsfeatures (vgl. VDI-Richtlinie 2218) weiterentwickelt. Features umfassen heute produktions- und produktbezogene sowie weitere anwendungsspezifisch relevante Informationen. Für die Anforderungen der Mikroproduktion wurde am wbk das Microfeature als ein geometrisches Funk-tionselement eines Bauteils zuzüglich Produkt-, Produktions-, Prozess- und Qualitätsdaten definiert (vgl. Abbildung 5). Diese Definition überwindet die strikte Trennung semantischer Aspekte, die gemäß VDI-Richtlinie 2218 in Eigenschaftsklassen und spezifische Aspekte des Produktlebenszyklus getrennt werden. Die in Makrodimensionen bestehende Trennung von Konstruktions-, Fertigungs- und Qualitätsfeatures wird mit diesem ganzheitlichen Ansatz ebenfalls aufgehoben.

Abbildung 5: Definition Microfeature (links), Beispiel für Ausprägungen von Microfeatures (rechts)

Die Herleitung von funktionalen Microfeature-Familien und die spezielle Ableitung der Ausprägungen von Microfeatures erfolgte anhand der Demonstratoren des SFB 499, einer Mikroturbine und einer Mikroplanetengetriebestufe. Die Methode Axiomatic Design, die ursprünglich entwickelt wurde, um aus der Eingangsinformation der funktionalen Anforderungen an ein Produkt, die beste konstruktive Lösung herzuleiten, wurde in entsprechend angepasster Form invertiert eingesetzt, um für Bauteile eines gegebenen Systems mit vorgegebenen Funktionen geometrische Funktionselemente zu ex-trahieren. Abbildung 5 zeigt für die im Planetengetriebe eingesetzte Sonnenwelle die drei Ausprägun-gen eines Microfeatures, die Verzahnung mit der Funktion der Energieübertragung, den Wellenabsatz mit Wirkfläche innerhalb eines Gleitlagers und die Welle als Komponente innerhalb eines Press-verbands mit der Funktion der Energieübertragung.

Ausgehend von dem Konzept der Informationsstrukturierung mittels Microfeatures wurde ein Entity-Relationship-Modell entwickelt, um die anwendergerechte, verteilte Erfassung und Bereitstellung der Informationen als webbasierte Datenbank-Anwendung zu ermöglichen. Diese Anwendung, der so genannte Microfeature-Katalog, bietet einen plattformunabhängigen Zugriff sowohl zum Einpflegen von als auch zum Zugriff auf die microfeature-strukturierten Informationen. Um die Benutzerfreund-lichkeit der Anwendung zu gewährleisten, ist es erforderlich, für unterschiedliche Anwendergruppen spezielle Sichten auf die Datenbank zu entwerfen. Dies ermöglicht eine entsprechende Anpassung der Navigation an die anwenderspezifischen Anforderungen und insbesondere die individuelle Ver-gabe von Zugriffs- und Schreibrechten für die einzelnen Anwendergruppen.

Abbildung 6: Screenshot das Microfeature-Katalogs

Auf Seiten der Informationserfassung und -bereitstellung umfasst das zweite Teilziel die Erweiterung des während der ersten beiden Antragsphasen implementierten Microfeature-Katalogs, um eine prozess- und systemgerechte Unterstützung der zusätzlichen Fertigungsprozesse zu gewährleisten, die Analyse von Systemen zu ermöglichen und Fertigungsverfahren strukturiert nach Microfeature-Familien zu bewerten und auszuwählen.

Abbildung 7: Anwendergerechte Informationserfassung im Microfeature-Katalog

Für den am wbk realisierten Microfeature-Katalog, der für die Prozesskette des Mikrourformens im SFB 499 konzipiert worden ist, wurden vier Anwendergruppen identifiziert: die Konstruktion, die zerspanende bzw. abtragende Werkzeugherstellung der Formeinsätze, das formgebende Urformen einschließlich der thermischen Prozesse Entbindern und Sintern und die Qualitätssicherung. Abbildung 6 zeigt auf höchster Aggregationsebene für diese vier Anwendungen, welche Daten und Informationen anwendungs- bzw. prozessspezifisch in den Microfeature-Katalog eingepflegt werden können.

Ausgehend vom dem aktuellen Stand der Arbeiten wird der Microfeature-Katalog während der dritten Förderphase um die Mikrofeaturesystemdimension erweitert. Ziel ist die Einführung eines Referenzsystems zwischen Mikrobauteilen, welches die Beziehungen zwischen Qualitätsmerkmalen verschiedener Microfeatures darstellt und bewertet, um robuste Prozesse für ganze Microfeaturesysteme sicherzustellen. Anhand der Implementierung der Methode Axiomatic Design auf Microfeaturesystemebene, sollen die geometrischen (z.B. Planparallelität), funktionalen (z.B. Dichtung) und qualitätskritischen (z.B. Konzentrizität) Zusammenhänge der einem System zugeordneter Microfeatures modelliert werden.

Dimensionelle Mikromesstechnik

Für die dimensionelle Messung im Sonderforschungsbereich 499 wird ein Koordinatenmessgerät der Firma Werth Messtechnik, das mit einem speziell für die Mikromesstechnik entwickelten optisch-taktilen Sensor, dem Werth Fasertaster, ausgestattet ist, eingesetzt. Darüber hinaus sind in das Koordinatenmessgerät ein Bildverarbeitungssensor sowie ein Autofokussensor integriert. Die Zielsetzung auf Seiten der Messtechnik während der ersten beiden Förderphasen war charakterisiert durch den Auf- und Ausbau der dimensionellen Mikromesstechnik. Konkretes Ziel war dabei, die Mikromesstechnik an die Anforderungen der betrachteten Bauteile und Bauteildimensionen und damit an die Abmessungen der funktionsrelevanten Qualitätsmerkmale anzupassen.

Abbildung 8: Werth Messgerät, Fasertaster im Einsatz für die Messung einer Mikroverzahnung, Ist-Geometrie eines Planeten (von links nach rechts)

Die Messaufgaben umfassen dabei für die Demonstratoren des Sonderforschungsbereiches 499 sowohl die Messung der Werkzeuge (Formeinsätze) der urformenden Verfahren sowie die Messung der Bauteile in ihren Zwischenstufen und auch der Fertigbauteile. Abbildung 9 zeigt für die drei abformenden Fertigungsverfahren Mikropulverspritzgießen, Mikroguss und Heißgießen welche dimensionellen Messaufgaben über die Fertigungsketten hinweg an einer Verkörperung des Positivs bzw. Negativs der Bauteilgeometrie auftreten. Für die Messungen wird primär der Werth Fasertaster, ein 2½D-Sensor, eingesetzt, da optische Verfahren zu unsichereren Messungen bedingt durch die mit einer prozesssicheren Kantenerkennung verbundenen Probleme und den Schwierigkeiten einer idealen Beleuchtung für Messobjekte mit sogar innerhalb einer Charge variierenden optischen Eigenschaften führen. Aufgrund dessen wird lediglich für Ebenen, die beim fixierten Messobjekt parallel zum Messtisch liegen, ein Autofokussensor eingesetzt. Der Bildverarbeitungssensor dient dagegen der groben Ausrichtung der Bauteile.

Abbildung 9: Messaufgaben für die einzelnen Fertigungsprozesse

Durch die kontinuierliche Messung der Formeinsätze, der Grünlinge und der urgeformten Mikrokomponenten konnten weitreichende Erfahrungen auf dem Gebiet der optisch-taktilen Koordinatenmesstechnik für die Mikroproduktionstechnik gewonnen werden. Des Weiteren wurden die Messung der Formeinsätze sowie der Mikrobauteile über weite Strecken automatisiert und damit fehlerresistenter gestaltet.
Ab Förderphase 2 und mit Schwerpunkt in der aktuellen Förderphase wird der Fokus auf die Durchführung experimenteller Messunsicherheitsuntersuchung gelegt. Gerade bei der Messung von Mikrobauteilen sind die kontinuierliche Überwachung der geometrischen Genauigkeit und der sichere Einsatz von Messmitteln zum Nachweis und zur Sicherung der Leistungsfähigkeit der technologischen Prozesse nötig. Daher war die Durchführung einer experimentellen Messunsicherheitsbestimmung gemäß DIN 32881-3 eine wesentliche Aufgabe, um die in der Koordinatenmesstechnik messaufgabenspezifische Messunsicherheit, die von einer für jede Messaufgabe anderen wirkenden Kombination von Unsicherheitseinflüssen abhängt, zu ermitteln. Das Verfahren sieht die Messung von kalibrierten werkstückähnlichen Messobjekten vor, um darauf aufbauend unter Berücksichtigung der wirkenden bauteilabhängigen Messunsicherheitseinflüsse die Messunsicherheit abzuschätzen. Das so genannte Messunsicherheitsbudget setzt sich dabei aus den drei Unsicherheitskomponenten uc, up und uw, wobei uc für die Standardunsicherheit aus der Kalibrierung steht, up die Standardunsicherheit aus dem Messprozess symbolisiert und mit uw die bedingt durch die Streuung der Produktionsprozesse variierenden bauteilabhängigen Einflussgrößen berücksichtigt werden:

U = √u2C + u2p + u2W + E

Die durchgeführte Messunsicherheitsbestimmung orientierte sich definitionsgemäß an den zu messenden Strukturen der Demonstratorbauteile (Mikroplanetengetriebe, Mikroturbine und Mikrodispenserschnecke). Damit war die erste Herausforderung, werkstückähnliche Messobjekte zu identifizieren, die zudem häufig auftretende Messgrößen verkörpern. Es wurden daraufhin zum einen die Messung einer Ebenendistanz als auch die Erfassung des Durchmessers an einem Innenzylinder als häufig auftretende Messaufgaben identifiziert. Aufgrund der Formabweichung der Demonstratorbauteile war es jedoch zu dem Zeitpunkt der Messunsicherheitsermittlung nicht möglich, diese für eine Kalibrierung einzusetzen. Infolge dessen wurde die experimentelle Messunsicherheitsermittlung ersatzweise an einem formgenauen Keramik-Endmaß (Seriennummer G97893, 2,5x 2,5x 25mm) für die Messung einer Ebenendistanz und an einem Bohrungsnormal (Durchmesser 200 µm) von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) durchgeführt. Durch den Rückgriff auf diese Referenzobjekte war es möglich kleine Messgrößen für die experimentelle Ermittlung heranzuziehen.

Die zweite Herausforderung im Zuge der Messunsicherheitsermittlung liegt im folgenden Schritt weniger in der statistischen Verrechnung der unbekannten systematischen Abweichung (E) und der Unsicherheitskomponenten Standardunsicherheit aus der Kalibrierung uc und aus dem Messprozess up als vielmehr in der Bestimmung und Quantifizierung der bauteilabhängigen Einflussgrößen bedingt durch die Streuung des Produktionsprozesses uw. Für die in uw zu berücksichtigenden bauteilabhängigen Einflüsse ist es jedoch zunächst erforderlich, die entsprechenden Einflussfaktoren zu identifizieren und eine entsprechende Formel zu deren Berechnung zu erstellen. Für die durchgeführte Fasertastermessung wurden die Faktoren thermischer Ausdehnungskoeffizient (1), Elastizität (2), Formabweichung (3), Rauheit (4) und Porosität (5) identifiziert und in eine kombinierte Standardunsicherheit verrechnet (siehe Formel 1.2). Darüber hinaus wurden konkrete Untersuchungen zum Einfluss fertigungsbedingter Formabweichungen am Beispiel des Mikrofräsens, der Mikrofunkenerosion und der Laserablation durchgeführt und in Bezug auf Unterschiede in der Mess- und Antaststreuung zu geschliffenen kalibrierten Objekten quantifiziert. Aus diesen Ergebnissen wurden Vorschläge und Empfehlungen zu einer Konkretisierung der DIN 32881-3 zur Abschätzung der Messunsicherheit für Mikrodimensionen unterbreitet. Das Transferprojekt kann für das vorgeschlagene Vorgehen die Validierung unter Praxisbedingungen liefern und somit die Chance ermöglichen, die neuen Empfehlungen zur KMT-Messunsicherheitsabschätzung in Mikrodimensionen zu rechtfertigen.